Was kommt nach dem Abitur?
Der Moment nach dem Abschluss auf dem Zweiten Bildungsweg

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Bich Tran
Viele Lernende am Kolleg oder Abendgymnasium haben in diesen Wochen ihr Abitur geschrieben und bestanden. Ein Ziel, das für viele Jahre fern schien – nun ist es erreicht. Der Alltag, geprägt von Unterricht, Klausuren und Prüfungsstress, weicht einer ungewohnten Ruhe. Und mit ihr kommt eine neue Frage: Was folgt auf diesen Abschluss?
Wer auf dem Zweiten Bildungsweg lernt, bringt häufig eine andere Lebensrealität mit als klassische Schulabgängerinnen und -abgänger. Da sind berufliche Verpflichtungen, familiäre Verantwortung, oft auch biografische Brüche – und nicht selten ein hohes Maß an Selbstdisziplin, das über Jahre aufrechterhalten wurde. Das Abitur bedeutet daher nicht nur einen schulischen Erfolg, sondern einen tiefgreifenden persönlichen Meilenstein. Doch mit dem Ende des Schulalltags entsteht oft eine Leerstelle – eine Phase, die viele als ambivalent erleben. Erleichterung mischt sich mit Orientierungslosigkeit. Die Tage, die zuvor fest strukturiert waren, sind plötzlich offen. Der Druck lässt nach, aber mit ihm auch die Richtung.
„Es mangelte nicht an Möglichkeiten – sondern an Momenten, sie in Ruhe zu verstehen. Diese Fülle hat mich anfangs eher überfordert als befreit.“
Im Rahmen einer kleinen Umfrage im Alumni-Portal wurden ehemalige Lernende und Lehrkräfte gefragt, was sie gern vor dem Abitur gewusst hätten – insbesondere mit Blick auf die Zeit danach. Die Antworten zeichnen ein klares Bild: Viele hätten sich mehr konkrete Orientierung gewünscht, praktische Hinweise, aber auch mentale Vorbereitung auf die Leere nach dem letzten Schultag.
„Ich hätte gern gewusst, dass die Leere nach dem Abitur kein Zeichen von Schwäche ist, sondern Raum für etwas Neues. Dass es okay ist, nicht sofort zu wissen, wie es weitergeht – und dass diese Unsicherheit der Anfang von etwas sehr Eigenem sein kann.“
Gesellschaftlich besteht die Tendenz, Bildungsabschlüsse unmittelbar mit klaren Anschlussplänen zu verbinden: Studium, Umschulung, Berufswechsel. Wer nicht sofort eine Antwort auf die Frage „Was jetzt?“ hat, gerät schnell unter Rechtfertigungsdruck – oft auch gegenüber sich selbst. Dabei ist gerade diese Übergangszeit eine wichtige Phase: Sie ermöglicht Reflexion, Neuorientierung und eine bewusste Abkehr von vorschnellen Entscheidungen. Viele ehemalige Lernende berichten rückblickend, dass sie erst mit etwas Abstand in der Lage waren, tragfähige Entscheidungen für ihren weiteren Weg zu treffen – und dass vermeintliche Umwege oft zu unerwarteten Zielen führten.
„Ich hatte das Gefühl, mir keine Pause erlauben zu dürfen – als müsste der nächste Schritt sofort folgen, damit der Abschluss auch ‚zählt‘. Erst später habe ich begriffen, dass Innehalten kein Rückschritt ist, sondern Teil des Weges.“
Nicht jeder Schritt nach dem Abitur muss sofort ein akademischer oder beruflicher Aufstieg sein. Manchmal ist es eine Zeit des Innehaltens. Manchmal der Moment, lang aufgeschobene Fragen neu zu stellen: Was motiviert mich wirklich? Was brauche ich, um langfristig zufrieden zu leben und zu arbeiten? Auf dem Zweiten Bildungsweg ist der Abschluss selten ein Startpunkt, sondern eher ein Knotenpunkt im eigenen Lebenslauf – ein Ort, an dem viele Fäden zusammenlaufen und sich neue Richtungen eröffnen. Dass die Entscheidung für den nächsten Schritt Zeit braucht, ist kein Zeichen von Zögern, sondern von Reife.
Mit dem Abitur ändert sich auch das Selbstverständnis vieler Lernender. Die Zuschreibungen, die zuvor den Alltag prägten – „nicht qualifiziert genug“, „zu spät dran“, „auf Umwegen unterwegs“ – verlieren ihre Gültigkeit. Der Abschluss schafft nicht nur neue Möglichkeiten, sondern auch eine neue Perspektive auf das eigene Leben. Er markiert einen Übergang: von einer Phase der Korrektur hin zu einer Phase der Gestaltung.
„Was jetzt kommt, bleibt offen – und das ist gut so“
Der Moment nach dem Abitur ist eine Einladung. Keine Aufforderung zur Eile, sondern zur bewussten Auseinandersetzung mit dem, was möglich ist. Ob ein Studium geplant ist, eine neue Ausbildung oder eine Auszeit – die Bandbreite ist groß, die Lebenswege vielfältig. Und gerade das macht diesen Moment so bedeutsam.
14.07.2025 | Blog
Verfasst von: BWA